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Es kann so lustig sein

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Die Welt in Claires Küche

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An seiner Tür hat Mathieu Chaignat ein witziges Schild angebracht: «Afghanische Botschaft, 21–23 Uhr». Doch in Wirklichkeit schaut er selten auf die Uhr, wenn er sich um die Flüchtlinge in seinem Dorf kümmert.

Von Camille Grandjean-Jornod

Es ist Montagnachmittag, Fussballtraining. Auf dem Rasen des örtlichen Clubs kicken einige Männer unter dem freundlichen, aber doch strengen Blick des Trainers, einem Freiwilligen, der sonst als Pastoralassistent arbeitet. Auch Mathieu Chaignat steht am Spielfeldrand. Jeden Tag organisiert der 40-Jährige eine andere Aktivität: Volleyball, Französischunterricht, Lauftraining ... Inzwischen verbringt Mathieu Chaignat fast jeden freien Abend mit seinen neuen Nachbarn. Und sogar die Ferien: Kürzlich tauschten er und sein Lebensgefährte das Hotelzimmer, das sie im Wallis buchen wollten, gegen eine Unterkunft aus, die gross genug war, um eine kleine Gruppe von Asylsuchenden aufzunehmen. «Es war wie im Ferienlager!»

Das Haus steht offen
«Meine Tür steht den Geflüchteten offen, viele wissen, wo der Schlüssel ist», sagt Mathieu Chaignat. Er erinnert sich an einen Anruf junger Flüchtlinge mitten in der Nacht, in Panik, weil einer von ihnen betrunken war. «Ich fühle mich ein wenig wie ein Vater für sie, vor allem für die Jüngeren.»

Doch er «tue nichts Besonderes», versichert er. Seine Zeit herzugeben, scheint ihm eine Selbstverständlichkeit zu sein. «Davor war ich im Gemeinderat», sagt er. Hinter dem gelassen wirkenden Menschen versteckt sich ein Mann, der sich seit jeher stark in seinem Dorf engagiert – in der Pfadi, in der Jugendgruppe, im örtlichen Kino und in der Politik.

«100 Kerle unter der Erde»
Mathieu Chaignat arbeitet für das «Centre interrégional de perfectionnement» (CIP), ein Weiterbildungszentrum in Tramelan. Sein Einsatz für Flüchtlinge begann im Jahr 2015, als eines Tages Flüchtlinge gleich neben seinem Arbeitsplatz in einer unterirdischen Zivilschutzanlage untergebracht wurden. «Es war unglaublich: Oben auf dem Parkplatz sah man keinen Menschen», erinnert er sich. Das Bild hinterliess grossen Eindruck auf ihn: «Die Welt oben, die Welt der Schweizerinnen und Schweizer, die am CIP Weiterbildungen absolvieren, und die Welt unten: 100 Kerle unter der Erde.»

Mathieu Chaignat wird aktiv: Er besorgt Bälle, reserviert eine Halle und lädt Flüchtlinge ein, Fussball zu spielen. Danach organisiert er immer mehr Aktivitäten – und gewinnt im Dorf Unterstützerinnen und Unterstützer. Mit einem Dutzend Gleichgesinnter hat Mathieu Chaignat inzwischen einen Verein gegründet. Sie wollen, dass Geflüchtete wieder unbeschwerte Momente erleben. Und sie wollen Alteingesessene und Neuankömmlinge zusammenbringen.

Wer Mathieu Chaignat zuhört, erhält den Eindruck, die Aufnahme von Flüchtlingen sei in Tramelan eine Selbstverständlichkeit. Das 4000-Seelen-Dorf im Berner Jura beherbergt seit 25 Jahren stets rund 200 Asylsuchende – und stimmte ohne Gegenstimmen für die Eröffnung einer zusätzlichen Unterkunft.

Gibt es denn hier überhaupt keine Schwierigkeiten? «Natürlich hat es schon Probleme gegeben: Einmal gingen Flüchtlinge zum Beispiel nicht mit Badehosen, sondern mit Unterhosen ins Schwimmbad.» Und manchmal spürt Mathieu Chaignat bei den freiwilligen Helferinnen und Helfern auch ein bisschen Frust, weil ihre Arbeit oft unvorhersehbar ist. «Man weiss nie, ob bei einer Veranstaltung von uns 30 oder nur 3 Geflüchtete kommen.» Aber er relativiert: «Am Ende klappt es immer. Und wir sind nicht dazu da, ihnen um jeden Preis Aktivitäten aufzudrängen. Wenn es den Einsatz nicht mehr braucht, ist das ja umso besser!»

«Unglaublich!»
Wenn Mathieu Chaignat davon erzählt, wie sich einige der Flüchtlinge entwickelt haben, wird sein Blick lebendig: Ein Jugendlicher spricht inzwischen «Französisch mit ausgeprägtem Tramelan-Akzent», soeben hat er eine Lehrstelle gefunden. Oder Fazel, der bei seiner Ankunft weder lesen noch schreiben konnte und vor Freude strahlte, als er sein erstes Wort entzifferte: «T-R-A-M-E-L-A-N».

Gestern haben sechs Flüchtlinge am Murtenlauf teilgenommen. Niman erreichte in seiner Kategorie den sechsten Platz. «Es ist unglaublich! Und er ist einer der ganz jungen Geflüchteten, bei seiner Ankunft war er noch nicht mal volljährig», erzählt Mathieu Chaignat. Seine Augen glänzen vor Stolz.