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«Wenn nicht ich, wer dann?»

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Die junge Historikerin Sophia Polek kämpft seit zwei Jahren für eine gerechtere Asylpolitik. Einfacher ist das nicht geworden – aber es macht immer mehr Spass.

Von Ramin Nowzad

Dass Sophia in Basel neue Freunde gefunden hat, liegt irgendwie auch an Wladimir Putin. «Es ist eine komische Geschichte», sagt Sophia und nippt an ihrem Eistee. Sophia Polek ist blond, zierlich, 26 Jahre alt und schreibt gerade ihre Doktorarbeit in russischer Geschichte. Vor drei Jahren studierte sie für ein Auslandsjahr in Russland.

«In Moskau nahm ich auch an regierungskritischen Demos teil», erinnert sie sich. «Aber ich fühlte mich komisch. Ich war in diesem Land zu Gast, hatte sogar ein Stipendium der russischen Regierung. Irgendwann stellte ich mir die Frage: Was läuft in meinem eigenen Land eigentlich schief?»

Als Sophia vor zwei Jahren nach Basel zurückkehrte, erreichte auch Arkan Gafur gerade die Schweiz. Hinter ihm lag eine Flucht, auf der er sein Leben riskiert hatte. Mit 16 Jahren war er von zuhause aufgebrochen und liess im nordirakischen Kurdistan so ziemlich alles hinter sich, was die Identität eines Menschen ausmacht: seine Eltern, seine Versicherungsnummer, die Orte seiner Kindheit, seinen Job als Autoelektriker, seine Freunde.

Heute ist Arkan 23, sitzt in einer Flüchtlingsunterkunft in Basel-Land, wartet noch immer auf seinen Asylentscheid und versucht, sich in die Schweiz zu integrieren. Und das macht manchmal sogar Spass. «Es kann so lustig sein, wir besuchen uns, treffen uns am Rhein», sagt Sophia. «Als ich anfing, für eine gerechtere Asylpolitik zu kämpfen, wurde mir schnell klar: Ich will nicht nur über, sondern auch mit Geflüchteten sprechen. Daraus sind extrem spannende Freundschaften entstanden.»

«Wir laufen nicht mit Grabesmine herum»
Seit zwei Jahren engagiert sich Sophia in einer Basler Amnesty-Gruppe. «Unsere Treffen sind oft witzig», erzählt sie. «Wir setzen uns für den Schutz von Geflüchteten ein, aber das heisst nicht, dass wir dauernd mit Grabesmine herumlaufen.» Gemeinsam organisieren sie Podiumsdiskussionen, unterstützen Geflüchtete bei Behördengängen und werben in Fussgängerzonen für eine humanere Asylpolitik.

Einfacher sei das nicht geworden. «Vor zwei Jahren war die Solidarität noch gross», sagt Sophia. «Inzwischen werden wir auf der Strasse oft zusammengeschissen. Es wird auch schnell persönlich, gerade wenn Männer mittleren Alters mit mir reden. Die lächeln auf mich herab und sagen: ‹Mädchen, du bist Studentin und hast Null Lebenserfahrung.› Mit Argumenten kommt man dann meistens nicht mehr weiter.»

Die Flüchtlinge wollen sich überhaupt nicht integrieren und lungern nur am Bahnhof rum – solche Sprüche hört Sophia inzwischen besonders oft. «Dabei lassen wir geflüchtete Menschen ja gar nicht arbeiten», sagt sie.

«Die meisten starten in der Schweiz mit ganz viel Enthusiasmus in ihr neues Leben. Und wir bremsen das so lange aus, bis sie nur noch müde, enttäuscht und frustriert sind. Viele meiner geflüchteten Freunde kennen meine Heimatregion inzwischen besser als ich. Sie fahren durch die Gegend, um nicht durchzudrehen.»

Auch Arkan hat inzwischen schon einige Ecken der Schweiz gesehen. Im letzten Sommer ist er mit Sophia zum ersten Mal in die Berge gefahren. «Wir waren mit Freunden im Berner Oberland unterwegs, die Stimmung war total gelöst», erinnert sich Sophia. Doch der Aufstieg zur Hütte war steil, die Sonne brannte – und irgendwann stiegen in Arkan die Schrecken seiner Flucht wieder hoch. «Da habe ich erst begriffen, was das Wort ‹traumatisiert› wirklich bedeutet», sagt Sophia.

Auf seine Arbeitserlaubnis wartet Arkan bis heute. «Wir kämpfen schon lange drum und haben eigentlich alles unternommen, was man überhaupt nur unternehmen kann», sagt Sophia. Neulich traf Arkan auf einem Fest zufällig einen ehemaligen Lokalpolitiker. «Der war total schockiert, dass Arkan immer noch nicht arbeiten darf. Und ein paar Telefonate später lag plötzlich die Bewilligung für eine Schnupperlehre in einer Autowerkstatt auf dem Tisch. Wir mussten lachen. ‹Hey›, sagte Arkan, ‹bei euch läuft’s auch nicht anders als im Irak.›»