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Mit 11 Jahren flieht Petar Mitrovic vor dem Krieg aus Zagreb und findet in der Schweiz Zuflucht. Das Exil lässt in ihm die Entschlossenheit wachsen, sich gegen Diskriminierung einzusetzen.

Von Camille Grandjean-Jornod

Als Kind wird Petar Mitrovic als «Jugo» beschimpft und von seinen Klassenkameraden in eine Abfalltonne gesperrt. Dort trifft er seinen ersten Freund in der Schweiz, einen Jungen aus Togo, der mit ihm in der Tonne festsitzt. Rassismus hat Petar, heute in seinen Dreissigern, am eigenen Leib erlebt. «Das sind dämliche Etiketten, die uns dazu bringen, uns als besser darzustellen, nur weil wir anders sind», sagt er.

Mit Fotos gegen Rassismus
Als Erwachsener will er etwas dagegen unternehmen. Er ist ein begeisterter Fotograf und beschliesst, «aussagekräftige Visagen mit aussagekräftigen Worten zu verbinden». Er hält möglichst unterschiedliche Gesichter – bisher sind es 400 – im Bild fest, begleitet von einem treffenden Wort. Etwa ein «Bruder», das auf der Stirn eines Rabbiners, eines Imams und eines Priesters geschrieben steht, denen er in Israel-Palästina begegnet ist. Oder die Gefangenennummer einer Widerstandskämpferin, die ein Konzentrationslager überlebte und ihre Nummer 70 Jahre später noch immer auswendig und auf Deutsch aufsagen konnte.

Sein Projekt «One Word» wurzelt in einem Aufbegehren gegen Rassismus. Er hat es nach und nach auf alle Formen von Diskriminierung erweitert, als er entdeckt hat, welches Ausmass diese annehmen kann: äussere Erscheinung, Geschlecht, usw. Mit seiner Ode an die Unterschiede hofft der Hobbyfotograf, einen Beitrag zu einem besseren Einvernehmen unter den Menschen leisten zu können. «Unterschiede stehen allzu oft am Anfang von Kriegen – du und ich, wir sind nicht gleich, also bekämpfen wir uns.»

«Ein Land, das es nicht mehr gibt»
Petar Mitrovic hat genau das erlebt. 1991 ist er 11 Jahre alt. Von einem Tag zum andern gerät sein Leben aus den Fugen. Die Angehörigen seiner Familie sind zwar in Zagreb geboren, gelten aber als bosnische Serben und müssen fliehen. «Mehrere Menschen aus meinem Quartier wurden umgebracht, unter anderem durch meinen Lehrer.» Dass jemand, der «Respekt und Autorität einflösste», sich so grundlegend wandeln konnte, löst in dem kleinen Jungen ein dauerhaftes Misstrauen aus. Es bleibt das Gefühl, dass sich alles ganz plötzlich komplett ändern kann.

In der Schweiz beginnt eine schwierige Zeit für ihn. Nach eineinhalb Jahren in Zürich wird die Familie in die Westschweiz geschickt. «Wir mussten wieder ganz von vorne anfangen, noch einmal eine andere Sprache lernen, und das alles in einer Asylunterkunft, die sich ganz abgelegen in einem Wald befand. Wir fühlten uns dort wirklich abseits der Gesellschaft», erinnert er sich.

2004 erhält er den Pass mit dem Schweizer Kreuz und damit auch die Reisefreiheit. «Mit meinem jugoslawischen Pass konnte ich die Schweiz nicht verlassen. Aber ein Land zu wählen – Kroatien, Serbien oder Bosnien – hätte bedeutet, die Teilung des Landes, den Krieg und die Massaker anzunehmen», erklärt er.

Für die Flüchtlinge eintreten
Die Bilder der Flüchtlinge, die 2015 den Balkan durchqueren, erinnern ihn an das Kind, das er selbst gewesen ist. Als sich seine Pinnwand auf Facebook mit Lügen und Hassbotschaften über diese Flüchtlinge füllt, beschliesst er, sich das Ganze selbst anzusehen «und die Gelegenheit zu nutzen, um brauchbare Dinge mitzunehmen». Sein Aufruf auf dem sozialen Netzwerk verbreitet sich wie ein Lauffeuer: In nur einer Nacht wird er über 700 Mal geteilt. Vier Monate später fährt Petar dann mit vier Lastwagen voll gespendeter Güter, 30 000 Franken, einem Fotoapparat und einem kleinen Team von Freiwilligen zum ersten Mal wieder in seine Heimat.

Eine kurze, aber prägende Erfahrung: «Für viele sind sie nur Flüchtlinge, sonst nichts. Aber ich bin Menschen aus unzähligen Ländern begegnet, jeder mit seiner eigenen Identität und seiner Geschichte: ein syrischer Arzt, ein kurdischer Fotograf, eine iranische Pensionierte ...» Auf dieser Reise wächst der Wunsch in ihm, den Menschen auf der Flucht wieder ein Gesicht und eine Geschichte zu geben. Das Vorhaben führt zu seiner fotografischen Zusammenarbeit mit Amnesty International für das Projekt «Unvergesslich: Unsere Geschichten». Den Schweizerinnen und Schweizern und den Flüchtlingen von heute möchte der frühere Flüchtling sagen, sie sollten «weniger Angst voreinander haben, aufeinander zugehen, um sich kennenzulernen, ohne den anderen ändern zu wollen».

Foto: Petar Mitrovic spielt mit bei seiner eigenen Inszenierung: sich mit einem auf die Stirn geschriebenen Wort fotografieren zu lassen, «demjenigen Wort, das man laut rufen möchte, wenn die ganze Welt uns drei Sekunden lang zuhören würde».